Es gibt Momente, in denen Dienstgrad und Uniform Nebensache werden – wenn es nur noch um Menschen, Haltung und das Richtige im Sturm geht.
Ein ungewöhnlicher Kurs – Beförderung mit 36
Es war einer dieser Momente, die sich leise ankündigen, aber im Rückblick wie ein Wendepunkt wirken. Kein Fanfarenklang, kein Scheinwerferlicht – nur ein Schlag auf die Schulter, ein kurzer Händedruck, eine Urkunde, ein Blick, der sagte: Du hast Verantwortung übernommen, bevor andere sie gesucht hätten.
Ich war 36 Jahre alt, als ich zum Oberstleutnant der Reserve befördert wurde – vier Jahre früher, als es damals üblich war. Eine nüchterne Zahl vielleicht. Doch hinter dieser Zahl stand etwas, das man auf keinem Dienstwegformular findet: gelebte Haltung.
Bei der Bundeswehr gilt seit jeher das Prinzip Eignung, Befähigung und Leistung. Drei Worte, die in Friedenszeiten oft abstrakt klingen – bis der Ernstfall sie mit Leben füllt. 2015 und 2016 war zwar kein Krieg, aber auf Grund politischer Entscheidungen eine Zeit großer Herausforderungen. Die Flüchtlingskrise stellte unser Land, unsere Strukturen und viele von uns persönlich auf die Probe. In Zelten, Turnhallen und an improvisierten Sammelstellen zählte nicht, wer welchen Rang trug, sondern wer bereit war, anzupacken, Verantwortung zu übernehmen und Menschen Halt zu geben.
Ich erinnere mich an Nächte ohne Schlaf, an Gespräche mit jungen Kameraden, die das erste Mal echte Überforderung spürten – und an Zivilisten, die in uns Soldaten plötzlich nicht Uniformen sahen, die sie so lange abgelehnt hatten, sondern verlässliche Hände. Es gab auch Kameraden, die meinten mit den Worten „Alles hört auf mein Kommando!“ diese Situation bewältigen zu können. Es war aber nicht die Zeit der Kommandos, sondern der leisen Entscheidungen: Wer hört zu, wer beruhigt, wer gibt Sicherheit und wer bleibt, wenn andere nach Hause gehen?
In diesen Tagen habe ich verstanden, dass Führung nichts mit Lautstärke zu tun hat. Sie entsteht dort, wo man zuerst das Richtige tut – und erst danach erklärt, warum. Vielleicht war es diese Haltung, zur frühen Beförderung führte. Nicht als Belohnung, sondern als Auftrag.
Seitdem trage ich diesen zusätzlichen Stern auf der Schulter mit Demut. Er erinnert mich daran, dass jeder Rang ein Versprechen ist: das Beste in anderen zu fördern, wenn sie selbst an ihre Grenzen stoßen. Beförderungen sind in Wahrheit keine Auszeichnung der Vergangenheit – sie sind eine Vorschusslorbeere auf das, was noch kommen soll.
Zwischen Befehl und Berufung – Führung in der Krise
Es gibt Momente, in denen die Uniform schwerer wiegt als sonst. Nicht wegen des dicken Stoffs oder der Sterne – sondern wegen der Verantwortung, die sie sichtbar macht. 2015, als Deutschland vor einer humanitären Herausforderung stand, spürte ich diese Last deutlicher als jemals zuvor. Tausende Menschen strömten nach Deutschland. Und plötzlich war all das, was man zuvor in Übungen, Planspielen und Stäben trainiert hatte, oft nicht mehr anwendbar. Es gab eine neue Realität.
Ich vertrat damals als Reservist den Kasernenkommandanten in Düsseldorf, um die zivile Seite zu unterstützen und Teile der Bundeswehrliegenschaften für Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Es war eine Brücke zwischen Bundeswehr und Verwaltung, zwischen militärischer Ordnung und menschlichem Chaos. Bereiche mussten gesichert werden, Zelte mussten aufgebaut, Versorgungslogistik eingerichtet, Prozesse improvisiert werden, während jeden Tag neue Menschen ankamen. Doch die eigentliche Herausforderung lag nicht in der Logistik, sondern in der Führung.
Führung in Krisen bedeutet, Ruhe zu bewahren, wenn andere Halt suchen. Nicht laut zu werden, wenn Unordnung droht. Nicht den Überblick zu verlieren, wenn Systeme an ihre Grenzen stoßen. Es ging weniger um Befehle als um Orientierung. Weniger um Vorschriften als um Haltung.
Ich erinnere mich an einen jungen Helfer, der erschöpft vor mir stand und sagte: „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Ich antwortete: „Fang da an, wo’s brennt – und bleib da, wo du gebraucht wirst.“ Das war kein taktischer Rat, sondern ein menschlicher. Er nickte, ging – und funktionierte, weil er sich gesehen fühlte. Führung entsteht im Auge des Gegenübers, nicht auf dem Papier.
Manchmal war ich mehr Seelsorger als Offizier. Zwischen improvisierten Feldbetten, erschöpften Menschen und überforderten Behörden ging es darum, Zuversicht zu vermitteln. Wenn Menschen spüren, dass du trotz allem glaubst, dass es einen Weg gibt – dann folgen sie. Nicht aus Pflicht, sondern aus Vertrauen.
Heute, mit dem Abstand der Jahre, weiß ich: Diese Wochen waren kein Einsatz im klassischen Sinn. Es war eine Schule des Lebens. Ich habe gelernt, dass Führung immer auch eine Form von Dienst ist – an den Menschen, an der Gemeinschaft, an etwas, das größer ist als man selbst.
Vielleicht ist das der Unterschied zwischen einem Befehl und einer Berufung. Der Befehl endet mit einem Punkt. Die Berufung beginnt mit einem Komma.
Menschen führen, wenn Systeme wanken
Wenn das Meer ruhig ist, kann jeder das Ruder halten. Erst im Sturm zeigt sich, wer Führung wirklich versteht. In jenen Monaten der Flüchtlingskrise – und in vielen Einsätzen seither – habe ich erlebt, was es bedeutet, Menschen zu führen, wenn Strukturen ins Wanken geraten. Wenn keine Checkliste mehr greift, kein Plan mehr exakt passt, keine übergeordnete Instanz mehr steuern kann. Dann entscheidet sich, ob man Kommandos verteilt – oder Vertrauen sät.
Führung in solchen Momenten bedeutet, Sinn zu stiften, wo Orientierung fehlt. Menschen brauchen keine perfekten Antworten – sie brauchen jemanden, der stehen bleibt und nicht fällt, wenn der Boden schwankt. In der Flüchtlingshilfe war das oft wörtlich zu nehmen: überfüllte Hallen, improvisierte Abläufe, kaum Schlaf, jede Stunde neue Anforderungen. Wer da nur auf Vorschriften blickte, verlor die Menschlichkeit. Wer nur auf Emotionen hörte, verlor die Übersicht. Führung bedeutete, beides zu verbinden – Herz und Haltung, Mitgefühl und Struktur.
Ich habe gelernt, dass Vertrauen das härteste und zugleich zerbrechlichste Material in der Führung ist. Du kannst es nicht befehlen – du musst es vorleben. Wenn meine Kameradinnen und Kameraden sahen, dass ich selbst Hand anlegte, dass ich zuhörte, dass ich trotz Müdigkeit ansprechbar blieb, dann folgten sie. Nicht, weil sie mussten, sondern weil sie wollten. Das ist der Unterschied zwischen Gehorsam und Loyalität.
Das lehrt Demut. Es zeigt, dass Führung weniger mit Kontrolle als mit Verantwortung zu tun hat. Systeme können versagen, Prozesse scheitern – aber Menschen dürfen nicht brechen.
Deshalb glaube ich heute: Wahre Führung zeigt sich nicht darin, wie gut man Befehle gibt, sondern wie man Vertrauen erhält, wenn alles andere wankt. Der beste Kompass in solchen Zeiten ist nicht der Dienstgrad – sondern die innere Haltung.
Resilienz als Kompass – Standhalten, wo andere straucheln
Jeder, der zur See fährt, weiß: Du kannst den Wind nicht ändern, aber du kannst die Segel setzen. Dieses Prinzip gilt nicht nur auf dem Wasser – es gilt in jedem Sturm des Lebens. In der Flüchtlingskrise habe ich begriffen, dass Resilienz nicht das Fehlen von Erschöpfung ist, sondern die Kunst, trotz Erschöpfung weiterzusteuern.
Resilienz ist der unsichtbare Kompass, der uns Richtung gibt, wenn Navigationsgeräte ausfallen – innerlich wie äußerlich. In dieser Zeit war sie das, was uns getragen hat. Nicht das System, nicht die Struktur, nicht einmal die Hierarchie – sondern der Wille, nicht aufzugeben.
Ich erinnere mich an eine Szene, die sich tief eingeprägt hat: Eine Helferin, war viel zu lange im Einsatz. Müde, erschöpft, aber mit einem Lächeln auf den Lippen sagte sie: „Wenn wir das hier schaffen, dann schaffen wir alles.“ Dieser Satz war mehr als Motivation – er war ein Anker. Worte, die nicht in den Dienstvorschriften stehen, aber Menschen tragen, wenn Dienstzeiten längst keine Bedeutung mehr haben.
Resilienz entsteht nicht in Trainingsräumen. Sie entsteht dort, wo Verantwortung auf Wirklichkeit trifft. Sie wächst, wenn man zwischen Pflicht und Mitgefühl balanciert, wenn man trotz Überforderung Haltung bewahrt, wenn man erkennt, dass Stärke nicht Härte bedeutet.
Als Führungskraft – ob im Einsatz, in der Wirtschaft oder im Ehrenamt – habe ich gelernt, dass Resilienz die Voraussetzung für Vertrauen ist. Nur wer selbst innere Stabilität bewahrt, kann anderen Sicherheit geben. Wer selbst Halt hat, kann Halt spenden. Resilienz ist kein individuelles Privileg, sondern eine kollektive Aufgabe. Sie entsteht aus Verbundenheit – Kameradschaft, Teamgeist, geteiltem Sinn.
Damals, in den entstehenden Unterkünften, war das spürbar. Wenn jemand schwächelte, hielt der andere ihn aufrecht. Wenn einer zweifelte, gab ein anderer Mut. Kein Pathos, kein Heldenmut – nur das stille Wissen: Wir schaffen das gemeinsam. Und genau darin liegt die wahre Stärke einer Gemeinschaft.
Ich bin überzeugt: Eine resiliente Gesellschaft erkennt man nicht daran, wie sie feiert, wenn es gut läuft – sondern daran, wie sie zusammensteht, wenn es dunkel wird. Resilienz ist kein Zustand. Sie ist eine Entscheidung. Jeden Tag aufs Neue.
Zivil trifft militärisch – Brücken bauen in beide Richtungen
Zwischen Uniform und Zivilkleidung liegt oft eine unsichtbare Grenze – und zugleich eine große Chance. Viele, die nie mit der Bundeswehr zu tun hatten, sehen nur die Äußerlichkeiten: Rangabzeichen, Befehle, Hierarchie. Doch wer einmal mitten in einer Krise Seite an Seite mit Soldaten, Reservisten und Zivilkräften gearbeitet hat, erkennt schnell: Hier geht es nicht um Abzeichen, sondern um Haltung.
Während der Flüchtlingskrise stand ich genau an dieser Schnittstelle. Ich trug Uniform, aber ich sprach nahezu täglich mit Vertretern der Politik, Feuerwehrleuten, Helfern des Technischen Hilfswerks, mit Ärzten, Verwaltungsbeamten und Ehrenamtlichen. Mit eini9gen verbindet mich bis heute Freundschaft. Anfangs war da Skepsis – gegenseitig. Doch dann geschah etwas, das ich nie vergessen werde: Die Grenze zwischen „militärisch“ und „zivil“ löste sich auf. Es blieb nur noch eines: gemeinsames Handeln.
Ich habe gesehen, wie zivile Helfer von der militärischen Struktur profitierten – klare Prioritäten, geordnete Abläufe, effiziente Kommunikation. Und ich habe erlebt, wie wir Soldaten von der Zivilgesellschaft lernten – Empathie, Flexibilität, Kreativität im Unvorhergesehenen. Diese wechselseitige Ergänzung war das, was den Einsatz am Ende trug.
In der Führung nennt man das „interoperables Vertrauen“ – die Fähigkeit, über Systeme hinweg gemeinsam zu funktionieren. Im Grunde ist es das Gleiche, was man auf See lernt: Man kann nur steuern, wenn man auch den Wind versteht, nicht nur das Ruder.
Diese Erfahrung hat meine Sicht auf gesellschaftliche Resilienz dauerhaft verändert. Wir brauchen kein Nebeneinander von Uniformierten und Zivilen, sondern ein Miteinander, das auf gegenseitigem Respekt gründet. Jeder bringt etwas ein – der eine Ordnung, der andere Menschlichkeit. Zusammen entsteht daraus Handlungsfähigkeit.
Heute arbeite ich genau an dieser Schnittstelle weiter – zwischen Verwaltung, Wirtschaft, Ehrenamt und militärischer Reserve. Denn ich glaube: Die Krisen der Zukunft werden nicht militärisch oder zivil sein – sie werden gesamtgesellschaftlich. Und sie verlangen von uns, Brückenbauer zu sein, keine Grenzwächter.
Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dann nicht mit Pathos, sondern mit Demut. Es waren einfache Menschen, die in kurzer Zeit gelernt haben, füreinander einzustehen – über Uniformen hinweg.
Am Ende war das vielleicht die wichtigste Lektion: Führung heißt nicht, Mauern zu errichten, sondern Brücken zu halten, wenn der Sturm sie prüft.
Dienst für das Gemeinsame – Warum Haltung mehr zählt als Rang
Ein Rang ist nur Metall auf Stoff. Haltung dagegen ist Charakter in Bewegung. Wer lange genug in Uniform dient, erkennt den Unterschied. Dienstgrade verleihen Autorität – aber sie garantieren noch keine Führung. In den Tagen der Flüchtlingskrise wurde deutlich, dass es nicht der Rang war, der Menschen zusammenhielt, sondern die Haltung hinter dem Rang.
Führung in herausfordernden Zeiten bedeutet, sich selbst nicht wichtiger zu nehmen als den Auftrag – und den Auftrag nie wichtiger als den Menschen. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Gerade in hierarchischen Systemen ist es verführerisch, sich hinter Strukturen zu verstecken. Doch wahre Führung verlangt, sich sichtbar zu machen – mit all seinen Stärken und Schwächen.
Haltung bedeutet, Menschlichkeit über Formalien zu stellen. Es ist leicht, von Disziplin zu sprechen, wenn alles funktioniert. Aber wahre Disziplin zeigt sich erst, wenn Erschöpfung, Frustration und Zweifel anklopfen. Dann entscheidet sich, wer nur Dienst leistet – und wer dient.
Für mich war diese Zeit auch eine Erinnerung daran, dass wir Offiziere in der Reserve mehr sind als ein militärischer Rückhalt. Wir sind Bindeglieder. Übersetzer zwischen den Welten. Wir tragen das Ethos des Dienstes in die Gesellschaft – und holen die Erfahrungen der Gesellschaft zurück in die Bundeswehr.
Robert K. Greenleaf sagte einst: „Führen heißt dienen.“ Je länger ich über diesen Satz nachdenke, desto wahrer erscheint er mir. Dienen heißt, Verantwortung zu übernehmen, ohne Applaus zu erwarten. Es heißt, zu handeln, auch wenn niemand zusieht. Und es heißt, das Richtige zu tun – nicht, weil es leicht ist, sondern weil es richtig ist.
Vielleicht ist genau das der Kern moderner Führung: Haltung zeigen, wo Titel enden. Denn am Ende bleibt nicht der Rang auf der Schulter – sondern der Eindruck, den man in den Herzen anderer hinterlässt.
Vom Sturm zur Steuerung – Lehren für Führung und Gesellschaft
Wenn man lange genug auf See war, lernt man, dass kein Schiff allein durch den Sturm kommt – es braucht eine Mannschaft, einen Kurs und jemanden, der beides im Blick behält. Genau das gilt auch für unsere Gesellschaft. Die Flüchtlingskrise war nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine Führungsprüfung. Sie hat offengelegt, wie verletzlich unsere Systeme sind – aber auch, wie stark Menschen werden können, wenn sie Verantwortung übernehmen.
Für mich als Reserveoffizier war diese Zeit mehr als ein Einsatz. Sie war eine Lektion darüber, wie Führung, Vertrauen und Resilienz zusammenspielen müssen, um Krisen zu meistern. Drei Elemente, die sich gegenseitig bedingen: Ohne Vertrauen keine Führung. Ohne Führung keine Richtung. Ohne Resilienz kein Durchhaltevermögen.
In den Jahren danach habe ich oft darüber nachgedacht, was aus dieser Erfahrung für Wirtschaft, Verwaltung und Ehrenamt zu lernen ist. Die Parallelen sind offensichtlich.
- Führung: braucht Klarheit und Empathie zugleich. Sie ist keine Funktion, sondern eine Haltung.
- Resilienz: entsteht nicht in Rückzugsräumen, sondern im Handeln. Sie wächst, wenn Menschen sich gegenseitig stützen.
- Gesellschaftlicher Zusammenhalt: entsteht dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen – auch jenseits der eigenen Komfortzone.
Wir leben in einer Zeit, in der Unsicherheit kein Ausnahmezustand mehr ist, sondern die neue Realität. Ob Energiekrise, Pandemie oder geopolitische Spannungen – wir können Stürme nicht verhindern, aber wir können lernen, sie zu navigieren. Und genau hier kommt Führung ins Spiel: Führung ist die Kunst, Orientierung zu geben, wenn die Karten veraltet und die Winde wechselhaft sind.
Ich glaube, dass jeder Mensch in einer Krise eine Wahl hat: Zuschauer zu bleiben – oder Verantwortung zu übernehmen. Die Bundeswehr lehrt uns, dass Entscheidungen auch unter Druck getroffen werden müssen. Die Gesellschaft lehrt uns, dass diese Entscheidungen menschlich bleiben müssen.
Beides zu vereinen ist die eigentliche Führungsaufgabe unserer Zeit. Es braucht Menschen, die den Mut haben, das Ruder zu übernehmen, wenn andere zögern – nicht, um zu dominieren, sondern um zu stabilisieren.
Wenn ich auf jene Monate, ja Jahre zurückblicke, dann nicht mit heroischem Pathos, sondern mit leiser Dankbarkeit. Für die Menschen, die mit mir durch den Sturm gegangen sind. Für die Lektionen, die geblieben sind. Und für die Gewissheit, dass aus jedem Sturm ein Kurs führt – wenn man den Kompass nie aus der Hand gibt.
Hoffnung als Auftrag – Was bleibt nach dem Einsatz
Wenn der Sturm sich gelegt hat und das Meer wieder ruhig wird, bleibt das, was wirklich zählt: die Erfahrung, dass Zusammenhalt stärker ist als jede Welle. Viele Jahre sind vergangen, seit jenen Tagen, in denen Uniform und Alltag verschwammen, in denen Dienstzeit und Zivilcourage eins wurden. Doch vieles von dem, was ich damals gelernt habe, begleitet mich bis heute – in jedem beruflichen Gespräch, in jedem Ehrenamt, in jeder Begegnung mit Menschen, die Verantwortung tragen.
Was bleibt, ist nicht der Rang. Es sind die Gesichter, die man nie vergisst. Die erschöpften, aber dankbaren Augen jener, denen geholfen wurde. Die Kameraden, die trotz Müdigkeit lächelten. Die Zivilisten, die plötzlich verstanden, dass Uniform keine Distanz bedeutet, sondern Verpflichtung. Und die Erkenntnis, dass Führung, wenn sie richtig gelebt wird, ein zutiefst menschlicher Akt ist.
Ich habe gelernt, dass Hoffnung kein Gefühl ist, sondern eine Haltung. Hoffnung heißt, an ein gutes Ende zu glauben, selbst wenn die Lage unübersichtlich wird. Es ist wie auf See: Auch wenn Nebel und Sturm den Horizont verdecken, vertraut man auf den Kompass – auf innere Werte, Disziplin, Menschlichkeit.
Führung ist nichts anderes als die Weitergabe dieser Haltung. Sie lebt davon, dass man sich nicht nur fragt: Was kann ich leisten? – sondern: Wofür will ich stehen?
Darum glaube ich, dass jeder Einsatz, jede Krise, jedes Stück Verantwortung Spuren hinterlässt – nicht nur in Strukturen, sondern in Menschen. Und diese Spuren, wenn sie aus Haltung und Vertrauen bestehen, werden zu Wegmarken für andere.
Ich trage den Stern des Oberstleutnants mit Dankbarkeit – nicht als Symbol des Erreichten, sondern als Erinnerung an das, was noch zu tun bleibt. Denn Resilienz, Führung und Gemeinsinn sind keine abgeschlossenen Kapitel, sondern fortlaufende Aufgaben. In der Bundeswehr, in der Gesellschaft, in jedem von uns.
Vielleicht liegt genau darin der Sinn des Dienens: nicht zu fragen, was man bekommt, sondern was man beitragen kann.
Und so bleibt am Ende nur eine Frage – einfach, aber tiefgehend:
Was würde aus unserer Gesellschaft werden, wenn jeder von uns den Mut hätte, Verantwortung so zu leben, wie wir es im Sturm gelernt haben?

